Eine traurige Wanderung

27 12 2010

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Die Angst

Was geschah? Was ist geschehen? Wie geschah’s?

Wie konnte es geschehen? Soviel aber ist

gewiß, daß es geschah, und offensichtlich, daß es geschah,

es verging, verging beim Nichtwiederkommen der Schmerz:

es stürzte das Irren in seinen schrecklichen Trichter,

aus dem seine stählerne Jugend hervorging,

und die Hoffnung ihre Finger erhob.

(aus Pablo Neruda, Memorial V, Kritische Sonate)

 

Am 1. Weihnachtsfeiertag kehren wir ein 2. Mal in den Parcque Nacional del Laja zurück, denn wir wollen auch den Lago del Laja in seiner vollen Größe sehen. Von Heinrich und Sabine hatten wir inzwischen von der tragischen Geschichte gehört, die sich im Mai 2005 im Park ereignete, und die auch die Herkunft des obigen Bildes erklärte, das wir auf der ersten Wanderung gemacht hatten: Ein Trupp junger Soldaten kam bei einer Übung in einen Schneesturm, ein verantwortungsloser Befehl des Kommandanten, der die jungen Menschen trotz Wetterwarnung, dieser sinnlosen Gefahr aussetzte, die 45 Jungs das Leben kostete. Der Weg am See vorbei ist nun mit Gedenkstätten an die einzelnen Opfer gesäumt, die der Staat an jeden Fundort einer Leiche gesetzt hat. Ergänzt wird das durch kleine Grabsteine, Kreuze, Statuen und Inschriften, die Freunde und Familienangehörige zur Erinnerung an ihre Lieben dorthin setzten.

Diese Strecke zu laufen ist unglaublich erschütternd und berührt einen sehr. Manche Stätten liegen nur wenige Meter voneinander entfernt, an manchen Stellen sind zwei oder mehrere Gedenksteine mit den Namen und letzten Grüßen von Familie und Freunden. An einer Stelle haben Angehörige Spielzeugautos ihres Sohnes und seine Spielsoldaten hingelegt, Soldaten, die genauso verstreut auf der Erde liegen, wie  diese armen Jungs nach diesem verhängnisvollen Schneesturm…Man spürt richtig die Verzweiflung, die Angst, die diese jungen Menschen gehabt haben müssen, immer wieder bleibt ein Freund zurück, der einfach nicht mehr weiter kann.

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Man kann Militär oder Krieg an sich in Frage stellen, es ist natürlich auch sinnlos, wenn Soldaten “in Ausübung ihrer Vaterlandspflicht fallen”, aber bei dieser Aktion war es so offensichtlich sinnlos, und es hat das Leben so vieler Menschen zerstört. Auch die Überlebenden sind traumatisiert, einige haben sich danach das Leben genommen.

Wie kann man nur so grausam sein und das Leben so vieler Menschen aufs Spiel setzen?

Warum haben sich die anderen Offiziere nicht gegen diesen unsinnigen Befehl gestellt?

Was bedeutet Gehorsam, Widerstand, Pflichterfüllung?

Wie kann dieser Befehlshaber weiterleben?

Die Gedenktafeln des Militärs, das Ehrendenkmal für die sogenannten Märtyrer, die fürs Vaterland gefallen sind. Ist man ein Märtyrer, wenn man sicher unfreiwillig in den sicheren Tod geschickt wird?

So gingen wir dahin in dieser überragenden Natur im Nationalpark Laja und kamen aus dem Grübeln nicht mehr raus, und der Gedanke entstand, euch durch diesen speziellen Reisebericht an unseren Gedanken teilhaben zu lassen, an unserer Begehung des “Sendero de los Muertos” , wie wir ihn für uns genannt haben.

Hier die Denkmäler für die “Märtyrer”, das eine am Weg selbst, das andere, riesengroß, in der Innenstadt von Los Angeles. Hoffentlich nützt es den kommenden Generationen von Soldaten etwas!

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Hier noch, was die deutsche Presse damals über die Tragödie schrieb:

http://www.spiegel.de/panorama/0,1518,356985,00.html

http://www.focus.de/politik/ausland/chile_aid_94827.html



Unser Weihnachten in Chile

27 12 2010

Wir verabschieden uns erst einmal vom Seengebiet…die schönste Landschaft, aber vor lauter Wolken sieht man sie nicht, “deutscher Sommer” auch in Chile, auf der Suche nach Sommer und Sonne, Heimweh nach vertrauter Umgebung, nach Familie, nach einem schönen Abend mit Freunden, keine Lust mehr auf Hotels und Restaurants kurz gesagt, etwas reisemüde, steuern wir die Unterkunft “La Mona” an.

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Sie sprengt zwar wieder einmal unser Budget, aber wir müssen uns neu sortieren, einen Plan machen, wie wir die nächsten 6 Wochen in Chile gestalten wollen. Dort soll ja auch besseres Wetter sein und tatsächlich streifen wir bei 30°C durch das deutlich vom Erdbeben gezeichnete Los Angeles, finden endlich den Adapter, damit wir bei den langen Autofahrten schöne Musik vom I-Pod hören können- es bahnt sich schon an, dass hier für uns ein besseres Karma ist, als in Temuco!

Heinrich, der Besitzer, holt uns an der Straße ab und ganz schnell wird klar, dass sich ein Wendepunkt abzeichnet. Jeder, der reist, kennt ja diese Situationen, in denen gar nichts mehr klappen will und man sich fragt, was das alles soll…und dann, wenn man’s gar nicht erwartet, kommt ja meistens die Lösung angeflogen.

Wir werden mit einem Willkommensbierchen am Pool begrüßt, machen eine Führung durch den wunderschönen Garten, das gemütliche Haus und Heinrich eröffnet uns, dass er zwar am nächsten Morgen nach Santiago müsse, wir aber gerne alleine hier bleiben könnten. Das ganze Haus stehe uns zur Verfügung, das Verwalterehepaar würde sich um Haus und Garten kümmern. Er komme dann zu Weihnachten mit seiner Frau wieder und wir seien herzlich eingeladen, die Feiertage mit ihnen zu verbringen.

Das war ja ein Angebot zur rechten Zeit, eigentlich wie ein Lottogewinn: Mal längere Zeit an einem schönen Ort bleiben, selber kochen, ein toller Garten zum Lesen, Mails schreiben, endlich mal wieder schwimmen, denn der  Pool ist ziemlich groß. Einfach mal wo bleiben, die Atmosphäre dort genießen – innehalten.

Hier verbringen wir auch Heiligabend und den 1. Weihnachtsfeiertag, so wie wir das von Gomera gewöhnt sind: Tagsüber in der Sonne, unter Palmen abhängen, schwimmen und am Abend mit netten Leuten was Leckeres kochen. Der Kräutergarten lädt geradezu ein, tolle Salate zu machen! Sabine hat sommerliche Tischdekoration vorbereitet und dann gibt es ein Menü, zu dem jeder einen Beitrag leistet und alles schmeckt superlecker. Nebenbei auch ein kleiner Austausch von Kochrezepten und wir lernen “Pastel de Jaiba” kennen.

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Später am Abend genießen wir den chilenischen Sternenhimmel in der Therme sitzend, die Heinrich den ganzen Tag mit Holzfeuer beheizt hat.

In der Umgebung gibt es zwei nicht so bekannte Nationalparks, die wir in der Zeit hier erkundet haben. Während der Nahuelbuta im Vergleich zum Conguillo nicht so spektakulär ist, weckt der Parque Nacional de Laja ähnliche Begeisterung wie die Wüste oder der Torres del Paine – nur: hier sind sommerlich heiße Temperaturen und wir sind an diesem Tag wahrscheinlich die einzigen Touristen, zumindest begegnet uns über Stunden kein Mensch… Wer uns kennt, weiß, dass dies die optimalen Bedingungen sind, die uns an unseren “Wohlfühlpunkt” bringen werden…

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Aber bis es soweit ist: “Nur an der Überforderung kann man wachsen”

Stöhn! schnauf! He, du schwitzt ja! Ich will nicht mehr! Das ist ja viel steiler als der Hausberg auf Gomera! Kräftezehrender Aufstieg nennt man das im Wanderführer… und außer Geröll auch noch dieser staubfeine, rutschige Sand! Wir haben viel zu wenig Wasser für diese Strapaze und es ist, wie immer, viel zu spät für so einen Aufstieg! Und wozu das alles?

Kurz bevor Judith, die heute echt nicht in Form ist, aufgibt, tauchen erst die beiden Kondore, dann der Gletscher auf. Obwohl strahlender Sonnenschein ist, wirkt er zunächst gar nicht blauer als die Gletscher, die wir im Süden bei Regen gesehen haben – aber das Körpergefühl ist ein völlig anderes! Man hat den Aufstieg geschafft, ein Schluck Wasser und schon fühlt man sich wieder wohl, genießt die Sonne auf der Haut, ruht sich auf einem Felsen aus und genießt den Blick auf diese gewaltige, raue Landschaft.

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Ja, der Aufstieg hat sich gelohnt… jetzt noch ein Stückchen höher… vielleicht kann man sogar nach der nächsten  Ecke den Vulkan sehen?

Kann man, und er sieht toll aus!

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Und dieses riesige Lavafeld: schwer zu überqueren, vor allem mit strapaziertem Knöchel, egal, morgen kann man ja wieder am Pool entspannen. Wir balancieren über die Lava, die Steine bewegen sich mit hohlem Geräusch, und es ist schon ein irres Gefühl so nah an diesen Naturgewalten von Feuer und Eis zu sein. Richtig winzig und unbedeutend kommt man sich vor.

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Eine tolle Wanderung war das, hatten wir gar nicht so erwartet und für unseren Geschmack kann das mit Torres del Paine locker mithalten. Eine großartige Landschaft und heute exklusiv nur für uns!

Wir sind dann noch mal hier in diesen Park gefahren und haben noch weitere tolle Eindrücke dieser einzigartigen Natur erfahren können. Die Wasserfälle und die Blicke über den See mit weiteren schneebedeckten Ausläufern der Anden waren auch wieder spektakulär.

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Wir haben noch eine unvergessliche, wenn auch traurige Wanderung hier gemacht, aber das ist eine ganz andere Geschichte……. (der wir ein eigenes Kapitel widmen).

Weitere Ausflüge von hier haben wir dann noch an den Oberlauf des Flusses Bio-Bio gemacht, wo wir ein bisschen vom Lebensalltag der Pehuenche-Indianer mitbekommen haben. Wir nahmen eine Mutter mit 2 Kindern im Auto mit, die vom Einkaufen kamen und anstatt auf den Bus zu warten, sich zu Fuß auf den Weg in ihre 40km entfernte Siedlung gemacht hatten. Die ältere Tochter trug dabei das schlafende Kleinkind.

In diesem Gebiet entsteht gerade eine ganz eigene Form von Tourismus, denn man kann mit indianischen Führern auf Pferden 3 Tage durch dieses wilde Gebiet reiten und viel vom Lebensalltag der Menschen hier mitbekommen. Da uns 3 Tage auf dem Pferd nicht so geheuer sind, lassen wir dieses Abenteuer einmal aus….

Ansonsten ist die Infrastruktur hier sehr schlecht, es gibt kaum Geschäfte und die Campingplätze und Hütten sind supereinfach und nicht sauber, so dass wir gerne wieder in unsere schöne Unterkunft in Los Angeles zurückfahren.

Ein paar Bilder von unterwegs:

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Außerdem gibt’s hier in der Nähe noch den größten Wasserfall Chiles (Salto de Laja):

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